Esher, ihr habt Streetfiles als wichtigste Graffiti-Community im Web etabliert und mittlerweile rund 25.000 Mitglieder und hostet um die 500.000 Fotos. Von den Writern wird streetfiles.org auch gerne „Graffiti-Google“ genannt. Hast du damit gerechnet, dass das Netzwerk so gut angenommen wird?
Ja, wir haben die Lücke gesehen, sind reingesprungen und haben sie ausgefüllt. In der Tat kommen die meisten User derzeit noch aus
Deutschland. Zwar sind wir Richtung Osten (Polen, Ukraine, Russland) auch sehr bekannt, aber im Westen, vor allem in den USA, ist noch nicht
so viel da. Vielleicht liegt das auch an dem immer noch gültigem Spruch von der CAF-Crew „Graffiti goes East“. Als nächstes wäre dann China dran.
Wie viele Personen sind an Streetfiles beteiligt? Wer hat die Community gegründet?
Streetfiles ist ein Hobbyprojekt unserer kleinen Bürogemeinschaft hier. Ich bin eigentlich nur so eine Art Maskottchen, die Entwicklung und die meiste Community-Arbeit wird von „Hausburger“ und „Movel“ (siehe Streetfiles Mitglieder) gemacht. Beim Freischalten von Fotos helfen uns ca. 10 ehrenamtliche Admins. Die Website hat noch ältere Wurzeln, denn sie ist der direkte Nachfolger des Graffitinet-Projektes, das schon seit 2001, also lange vor Flickr und Facebook, unter Graffitinet.com zu erreichen war und genau dieselbe Grundidee hatte. Die ersten ca. 20.000 Fotos haben wir da her. Der gleichnamige Verein ist bis heute der offizielle Träger.
Vor ein paar Jahren war, salopp formuliert, Graffiti im Internet auf verschiedenste mehr oder weniger professionelle Websites oder Foren
verteilt; heute, im Web-2.0-Zeitalter, ist es bei Streetfiles zu Hause. Woran liegt dies deiner Meinung nach?
Streetfiles ist konzeptionell und technologisch eine runde Sache, wir sind mit dieser Kultur verwurzelt und wir wollen es!
Hast du eigentlich einen Lieblingsaccount?
Ich persönlich finde die eher leisen Töne spannend: Almut Gehwol, Passant, Neo Night…
Streetfiles wird beispielsweise von Montana (Spanien) gesponsored, war es von Anfang an geplant, dass die Seite kommerziell genutzt wird?
Wir hätten nichts dagegen, wenn das Projekt wenigstens die Büromiete hier zahlt oder zu unserer Grundversorgung beiträgt. Manchmal träume ich davon, dass es sogar soviel Geld abwirft, dass wir nicht mehr der täglichen Sklavenarbeit nachgehen müssen und wir uns auf die Weiterentwicklung konzentrieren und vielleicht auch selber mal wieder malen gehen können. Derzeit sieht‘s aber wirklich nicht so aus. Mit sehr viel Aufwand, zugekniffenen Augen und Selbstbeschiss kann man von einer schwarzen Null auf dem Konto berichten. Ohne Montana Colors, die uns jetzt schon das zweite Jahr unterstützen, wären wir nicht mehr hier.
Kritiker aus der Szene stoßen sich auf Streetfiles vor allem an der Möglichkeit der Nutzung der Seite als Suchmaschine und Informationsquelle für Mitarbeiter der Sonderkommissionen. Auch wenn die Kommentarfunktion mittlerweile nur noch für Mitglieder nutzbar ist, wird der häufig unbedachte Umgang mit Fakten und Halbwissen bemängelt. Wie stehst du dazu?
Das ist leider ein Problem, dem sich viele Benutzer nicht bewusst sind. Gebetsmühlenartig predige ich in vielen Blogeinträgen über die Gefahren des Publizierens im Internet und bei Streetfiles. Das Internet ist per se nicht anonym. Wir geben uns größte Mühe, nur so wenig benutzerbezogene Daten wie notwendig zu speichern. Aber wir können die Leute leider nur sehr bedingt vor ihrer eigenen Blödheit schützen. Ich mache mir immer Feinde, weil ich generell alle Nachtaktionen auf privat schalte. Wir haben schon einige Anfragen der Polizei aufgrund von Ermittlungsverfahren gehabt, die wir aber nicht beantwortet haben. Wir müssen das nicht. Allerdings ist es auch schon mehrmals vorgekommen, dass wir von der Staatsanwaltschaft zur Herausgabe von Daten gezwungen wurden.
Auch der Verlust der Kontrolle über die Veröffentlichung der eigenen Pieces verärgert einige Writer. Wie siehst du das?
Das ist eine verzerrte Wahrnehmung. Wer im öffentlichen Raum seine Spuren hinterlässt, sollte sich nicht wundern, wenn sie wahrgenommen werden. Auf unserem Blog habe ich mal etwas länger darüber geschrieben: streetfiles.org/blog/post/135. Etwas schwieriger ist dagegen die Tatsache, dass Streetfiles aktive Bomber, ohne ihr eigenes Zutun, in Gefahr bringen kann. Das sind weniger die veröffentlichten Fotos selber, als vielmehr das ganze Gequatsche drum herum. Ich glaube zwar nicht, dass da irgendwas strafrechtlich Relevantes bei ist, aber es ist trotzdem nicht gut. Aus diesem Grund haben wir eine Abuse- Funktion, mit der man „bedenklichen“ Inhalt melden kann.
Mit dem großen Erfolg der Social Networks im Web 2.0 geht die Diskussion um die nachlassende Bedeutung von Printmedien einher. Auch im Graffitibereich wurden bereits verschiedene Formate eingestellt. Wie siehst du hierbei das Verhältnis zwischen Online und Print?
Viele Writer, vor allem die ältere Generation, haben hier meines Erachtens falsche Maßstäbe, für sie ist nur Print real. Graffiti und Internet sind eine Killerkombi und bedingen sich in ihrer Schnelllebigkeit perfekt. Da Print bei Aktualität und Masse nicht mithalten kann, muss es sich spezialisieren. Der redaktionelle Blickwinkel ist interessant. Ich finde Graffitibuch-Veröffentlichungen spannend und wir freuen uns, sie über unseren Market Place zu unterstützen. Wir würden gerne auch mal ein Streetfiles-Buch rausbringen, es fehlt uns nur etwas der Kurator.
Wenn du zehn Jahre weiterdenkst – wie stellt sich die Graffitimedienlandschaft dann dar?
Mobil!
Was ist für die nähere Zukunft bei Streetfiles geplant?
Wir haben sehr, sehr viele Ideen, nur leider wenig Zeit für SF.
Danke